Meilenstein in der Forschung über die genetischen Grundlagen

Bild: Fotolia/Gorodenkoff

Ausgabe 2/20 - Das internationale Forschungsnetzwerk International MS Genetics Consortium (IMSGC) hat im menschlichen Genom 233 Variationen als Risikofaktoren für die Entwicklung von Multipler Sklerose identifiziert. Die im renommierten Fachjournal „Science“ publizierten Studienergebnisse könnten dazu beitragen, das individuelle MS-Erkrankungsrisiko zu bestimmen und Ansätze für eine wirksame Prävention zu definieren.

233 Genvariationen, darunter eine auf dem das weibliche Geschlecht charakterisierenden X-Chromosom, lassen sich als Risikofaktoren für die Entwicklung von Multipler Sklerose ableiten. Die identifizierten Genvariationen beeinflussen eine große Zahl von unterschiedlichen Zellen des Immunsystems, was auf eine größere Funktionsstörung in der Entstehung der Erkrankung hinweist.

Die Universitätsmedizin Mainz ist seit mehr als zehn Jahren ein Zentrum des Forschungsnetzwerks IMSGC. Die Wissenschaftler des Netzwerks erforschen genetische Marker, die an der Entstehung der Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose beteiligt sind und testen, ob sie als Prognose- Parameter geeignet sind. Federführender Wissenschaftler der aktuellen Studie war Prof. Philip De Jager von der Columbia University Irving Medical Center in New York. Das Team um Univ.-Prof. Dr. med. Frauke Zipp, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz und Vorstandsmitglied im Ärztlichen Beirat des DMSG-Bundesverbandes, erforscht die Aussagefähigkeit von genetischen Markern hinsichtlich der Veränderung der kognitiven Fähigkeiten, einer eintretenden Neurodegeneration und dem Schutz vor diesen neuronalen Veränderungen.

„Unsere aktuelle Replikationsstudie ist ein Meilenstein in der Forschung über die genetischen Grundlagen der Multiplen Sklerose. Insbesondere das Verständnis der Risikofaktoren könnte zukünftig die Option bieten, das Risiko eines Individuums für die Entwicklung der Multiplen Sklerose zu prognostizieren sowie Ansätze zur Prävention aufzuzeigen. Um eine verlässliche Aussage treffen zu können, wer mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Multiple Sklerose entwickeln wird, bedarf es weiterer internationaler Forschungen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Frauke Zipp. 

Bislang größte Genetikstudie zur Multiplen Sklerose mit über 115.000 Probanden
Die internationale Studie „Multiple Sclerosis genomic map implicates peripheral immune cells and microglia in susceptibility“ unter Mitwirkung des Mainzer Forschungsteams ist die bislang größte Multiple Sklerose-Genetikstudie des Forschungsnetzwerks. Die IMSGC-Forscher sammelten, analysierten und replizierten genetische Daten aus mehreren früheren Studien von insgesamt rund 115.800 Personen – rund 47.400 Multiple Sklerose-Patienten und rund 68.400 Kontrollpersonen ohne Multiple Sklerose. Ausgelöst wird die Erkrankung nach aktuellem Wissensstand durch eine Kombination verschiedener Faktoren. Dem Forschungsnetzwerk gelang es, im menschlichen Genom 233 Variationen zu definieren, die dazu beitragen, dass ein Mensch anfälliger für die Autoimmunerkrankung MS ist. Diese identifizierten Genvariationen beeinflussen eine große Zahl von Immunzellen und initiieren eine Fehlfunktion des gesamten, das Gehirn angreifende Immunsystems statt eines einzelnen Zelltyps. Das Forschungsnetzwerk entdeckte eine besondere Rolle der Immunzellen des Gehirns, der Mikroglia, in der Entstehung von MS. Diese Abhängigkeit konnte für andere Gehirnzellen wie Neurone oder Astrozyten nicht nachgewiesen werden. 

Liegt das höhere MS-Risiko für Frauen in den Genen?
Diese Erkenntnisse werten die Forscher als möglichen Hinweis darauf, dass nicht nur eine umfassende Dysfunktion im Immunsystem, sondern vor allem auch der Immunzellen im Gehirn ursächlich die Entstehung von MS auslösen könnte. In einem weiteren Forschungsergebnis identifizierte das Wissenschaftlerteam eine genetische Variante für Multiple Sklerose auf dem X-Geschlechtschromosom. Da dieses bei Frauen zweifach vorhanden ist, bei Männern hingegen nur als ein Teil des Chromosomenpaares XY vorliegt, könnte dieses Forschungsergebnis ein Erklärungsansatz sein, warum Frauen ein höheres Risiko haben, Multiple Sklerose zu entwickeln als Männer, so Dr. Nikolaos Patsopoulos vom Brigham & Women’s Hospital an der Harvard Medical School in Boston. Mit dieser Studie wird insgesamt etwa die Hälfte der Erblichkeit der Erkrankung erklärt. 

Die Studienergebnisse bestätigen einerseits die Ergebnisse vorangegangener Studien, gehen aber wesentlich darüber hinaus und sind möglicherweise wegweisend für die weitere MS-Forschung.
 

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